spiel mir das lied vom bahnhof....

05.26 Uhr fährt der zug in richtung halle los, einmal umsteigen in röblingen. dort trifft die kleine querfurter regionalverbindung auf die fernstrecke zwischen halle und nordhausen. jeden dienstag und donnerstag erlebe ich das. schliesslich ist heute theorietag in der gutenbergschule, unweit des halleschen marktes inmitten der bezirks- und saalestadt. diese ruft mich auch heute eher, als an den tagen, an welchen ich in der kleinen querfurter druckerei in hundert jahre alte setzkästen greife. wir haben 1984.

05.26 uhr wird der schaffner in seine pfeife trällern und sich dabei dienstbeflissen über den breiten rotlackierten gurt streifen, welcher diagonal seinen dunkelblau bespannten oberkörper ausmißt. ein blick auf die uhr vermeldet: es ist nun 05.15 uhr. so bleiben mir noch zwei minuten für die schnürsenkel und das greifen der tasche, acht minuten für den fussmarsch bis zum bahnhof und eine minute für das kaufen einer fahrkarte, auch heute wieder: ein kleines bedrucktes kärtchen aus dicker harter pappe.

05.17 uhr. ich gehe durch das rostig-eiserne hoftor, mein schritt ist ermessen, aber gleichmässig ruhig. würde man mich jetzt im dunkeln sehen, würde man mich den landvermessern zuordnen. 05.20 uhr, ich umkurve zügig die ecke des "inneren krankenhauses". 05.21 uhr, ich komme an der katholischen kirche vorbei, diese ist erst ende des 19ten jahrhundert hierher gebaut worden. 05.24 uhr ich bin fast da, stapfe vorbei an der hölzernen baracke, deren zwei dunkle öffnungen duften an mir vorbei, wie sie schon immer duften: sie stinken. es ist die bahnhofstoilette. ich betrete, wie geplant, 05.25 uhr die kleine bahnhofshalle...

"guten tag! einmal bis nach halle, bitte!" "um himmels willen, junger mann, sie sind schon wieder der letzte, schnell! gleich fährt der zug!" "eine minute haben wir noch", nestele ich verlegen durch ein gelochtes, flaches ei aus aluminium. das ist die schnittstelle zwischen personal und bahnkunde, gefasst in dickes glas. "zwei mark zehn, schnell!" "wunderbar, ich habs passend, wie immer!" "und sie sind der letzte, herr könig, wie immer!" "tschüss, dann!" winke ich schon im gehen  durch die scheibe -  als ich an der alten standwaage vorbeigehe, klickt der lange zeiger der bahnhofsuhr auf die 26...

der zug fährt wie immer auf dem ersten der zwei bahngleise ab, die waggons stehen gleich vor dem eingang. beim einsteigen sehe ich, wie der schaffner sich in position stellt, um die pfeiffe an den mund zu führen, die rot-weisse kelle gewinnt an höhe. im halbvollen abteil finde ich schnell einen sitz aus grünem kunstleder. der gewohnte duft aus altöl, wasserdampf und ruß lässt nun einen gällenden pfiff an mein ohr. der zug setzt sich in bewegung....

so lief er ab, mein halle-tag, zweimal in jeder woche und das in den zwei jahren meiner lehrzeit. ich hatte mich so an sie gewöhnt, an meine vertrauten: die pflastersteine auf dem fussweg, die kirche, das krankenhaus für innere medizin, die bahnhofstoilette, die besorgte fahrkartenverkäuferin, die alte standwaage, der schaffner und der bahnhof..

31.03.2009. 18 uhr. heute bin ich, nach so vielen jahren noch einmal mit freunden diesen weg gegangen. es war ein schönes, aber auch ein mulmiges gefühl, werde ich ihn erkennen, wird er mich erkennen? die strecke querfurt - röblingen ist nun stillgelegt, ebenso jene von querfurt nach vitzenburg, es fährt nur noch ein kleiner triebwagen von hier in die letzte verbliebene richtung, nach merseburg.

 

und mein bahnhof, er schläft und wartet, dass auch seine letzten gleise in rente gehen... so wie herr määä-dorn, nur leider ärmer.

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