Hannah von Oben, Episode 6: Das Abenteuer in der K.Sächs.Sts.E.B. Eine verkürzte Reise. Pit schwärmt von Winnetou

Dampf kringelt sich in dicken dunklen Schwaden seit über einer Stunde durch die Luft. Darunter saust in flotter Geschwindigkeit von geschätzten 80 Kilometern pro Stunde der Zug der Königlich-Sächsischen Staats-Eisenbahnen durchs sächsische Land. In ca. einer halben Stunde könnten unsere Drei ihr nächstes Ziel auf dem langen Marsch nach Krakau erreichen: Dresden. Hannah hat schon viel von der Perle an der Elbe gehört. Seine Schätze sind berühmt. Pit ist ebenso neugierig. Schliesslich weiß er, daß im letzten Weltkrieg viel von der barocken Pracht dieser Stadt zerstört wurde. Und nun hat er die historische Chance, das alles zu sehen, als es noch nicht zerstört wurde. "So eine Zeitreise ist etwas feines", denkt Pit mit glasigen Augen, und freut sich, 1909 durch die Gegend stapfen zu dürfen. Wilhelm denkt derweil nichts. Das ganze Gehetze vor ihrer Abfahrt aus Leipzig hat ihn doch ermüdet. Das gleichmässige Rattern der Zugräder kann aber auch ermüden!.  ...jedoch nicht jeden, wie wir sehen....

Der Doktor ist sich zu Recht seiner Beute sicher. Er wird nun Hannah bequem den Schlüssel wegnehmen können. Zeugen kann er auch nicht gebrauchen, also freut er sich, dass der Zug so schön schnell fährt. Dunkles zieht auf im Sachsenland! Hannah und Pit haben davon keinen Schimmer. Pit wundert sich gerade: "Du, der Zug heisst kahsächsschtehbeh! Sonderbarer Name. So stand es vorhin an der Lok!". "Nicht nur der Zugname ist hier sonderbar: Da schau mal, Pit! " ruft Hannah begeistert und klopft sich auf die Schenkel: " Der Ort hier heisst Oschatz!" und zu Pit blinzelt, setzt sie hinzu: "Oh, Schatz, wollen wir auf dem Rückweg nach Oschatz!?" Pit, logisch, wird puderrot und stammelt.."Ähmm, wie meinst´n das?!" Hannah lacht hinauf zum Schirm ihrer karierten Mütze. - So merken natürlich beide nicht, wer sich da von hinten ihrem Waggon nähert.

Und dieser Herr mit der auffälligen karrierten Hose merkt nicht, dass sich ihm wiederum eine Person nähert. Der Doktor beobachtet aufmerksam das Abteil. "In einem günstigen Augenblick werde ich zuschlagen!" denkt er bei sich. Da schlägt ihm des Kontrolleurs Hand auf die Schulter: "Nu, schuhdn Daach! De Fohrgorden bitte, där Härr!" Erschrocken dreht sich der Doktor um, besinnt sich aber wieder und kramt mürrisch seine Fahrkarte heraus. "Hier haben Sie Ihre Karte!" wirft er dem Kontrolleur entgegen. "Nöö nöö, Mei gudster Herre! Die hier is ungüldsch! Die is vom vorschen Monat, nu!" "Was, wie?! fällt der Doktor wie aus allen Wolken: "Ja, aber! Die habe ich im Rathaus höchstpersönlich abgeholt, von höchster Ordonanz! - Moment...", durchschiesst es ihn: "Sollte der Haber, der Huber, der, der...???" wutschnaubend will der Doktor den Kontrolleur beiseite schieben..

"Halt! gehn Schridd weider! Erschd wärn´se mir hier e güldsches Billjedd vorweisen!" "Lass mich durch, Kerl!" brüllt da der kariertbehoste Zweimetermann. Doch ein Kontrolleur der Königlich-Sächsischen Staats-Eisenbahnen lässt sich davon gleich garnicht beeindrucken. "Isch weische nisch! Se gomm jetz midd in dän Bersonalwaachn, oder isch hol´n Goleeschn Grieschor. aber dann raschelds im Gardong, awwer jewaldisch!!!" "Was willst du!", explodiert der Doktor augenblicklich, sodass der ganze Zug erbebt und zum Glück auch den Kollegen Krüger alarmiert. Alle Zuginsassen schauen nun, wo der Tumult herkommt. Da entdecken auch Pit und Hannah erschrocken, was hier gespielt wird.. "Der Doktor!" rufen beide, erstarrt zu einem Gruppendenkmal.

Aber nicht lang. Hannah besinnt sich als Erste. Sie muss handeln, bevor der Doktor mit seinen Verfolgern fertig geworden ist! Sie zieht die Notbremse. Ein ohrenbetäubendes Quietschen setzt nun ein und bringt die Fahrgäste dazu, sich erschrocken die Ohren zuzuhalten. Wilhelm holt das danach einsetzende Herumgewirbel von der Butterblumenwiese seiner Träume. "Wie, was, wo bin ich!" stammelt unser Krauthobel. "Schnell, Wilhelm, wir müssen raus!" zieht Pit ihn am Arm. Noch ganz benommen, klaubt sich Wilhelm seine Koffer und folgt den beiden aus dem Zug heraus. "Au, ist der Bahnsteig hart" fällt Pit in die Tiefe. Hannah rollt mit den Augen: "Hat sich wieder mal heimlich die Strasse angeschlichen?", um dann besorgt hinzuzufügen "Hast du dir auch nichts getan?" Pit steht heldenhaft wieder auf : "Alles in Ordnung!"...

"Na toll!" ruft Wilhelm, jetzt gänzlich aufgewacht, "Da macht man einmal die Augen zu, schon macht ihr nur dummes Zeug!" "Guten Morgen!" erwidert Hannah, "Wir können nichts dafür dass er auf einmal auftauchte! Wir müssen nun weiter, eh der Doktor sich losreisst! !" Pit nickt bestätigend mit dem Kopf. "Na, gut!", überlegt Wilhelm "Lasst uns mal einen kühlen Kopf bewahren! Wo sind wir hier? Ach da stehts! Radebeul Ost!" Tatsächlich, das Bahnhofsgebäude hinter ihnen vermeldet es. "Das ist doch gut!" meint Wilhelm weiter "Dann sind es ja nur noch zehn Kilometer Fussmarsch bis Dresden!" Hannah klatscht begeistert in die Hände: "Auf auf, Männer! Wir gehen Elbluft schnuppern!" - Unterdessen tragen drei Angestellte der "Königlich-Sächsischen Staats-Eisenbahnen" ein kariertes Bündel über den Bahnsteig von Radebeul Ost. "So Freundschen! Nu wird sisch alles aufglährn!" hört man belehrend einen der Drei. Die Antwort ist ein  tiefes Brummen...

Derweil sind Hannah und ihre beiden Freunde schon ein ganzes Stück durch Radebeul gelaufen. "Radebeul, Radebeul... irgendwo her kenne ich das!", sinniert Pit. "Vielleicht erinnert dich das an ein Rad und ein Beil?" feixt Hannah. "Das ist garnicht so abwegig!", unterbricht Wilhelm das Gespräch der beiden. "Ich denke, mich zu erinnern, dass in einem alten Radebeuler Siegel ein Rad und ein Beil zu sehen ist. Der Ortsname selbst ist jedoch slavischen Ursprungs!" "Hmm," grübelt Pit weiter, "Aber irgendwie..". Unser Hans-guck-in-die-Luft wird jäh in seinen Gedanken unterbrochen und zerschellt an einem älteren Herrn. "Houhouhou! Nicht so stürmisch, junger Mann!" Pit schaut ihn erschrocken an und stammelt: "Entschuldigung!". Der Mann antwortet: "Du musst aber noch ein wenig üben, bis du schleichen kannst, wie ein Indianer!" und geht lachend seiner Wege.

"Tsstssstss" feixt Hannah und Wilhelm muss sich ein Lächeln verkneifen. Da erschrickt Pit "Indianer? Wusste ichs doch! Ich kenne den Mann!" Wilhelm und Hannah schauen ungläubig die leere Strasse hinunter. "Na klar! Radebeul! In Radebeul wohnte doch Karl May, der die Indianerbücher...!" "Winnetou und Old Shatterhand!" entfleucht es nun auch Wilhelm. "Da.. das WAR der grosse Karl May! Ich wüsste nicht, dass er gestorben ist!" "Na logisch! wir haben doch auch erst 1909!" erklärt Hannah, nun ebenfalls begeistert. Mit einem :"Wow!" schauen nun alle drei wie gebannt die wieder leere Strasse hinab. Aber sie bleibt leer. Die nächsten Meter geben sie sich gelesene Indianerabenteuer zum Besten. "Schaut nur!" zeigt Pit  auf einmal begeistert nach oben: Sie lesen: " Villa Shatterhand" Hier wohnt der grosse Schriftsteller und Freund mancher lesender Kinderherzen. Die weitere Wanderung sieht drei seelig blickende Indianer. Nur ein "Halbblut" beschwert sich kurz über das Schleppen der Koffer, während sie an wundervollen Weinhängen vorbeischlendern...

Plötzlich steht wie gerufen ein sonderbares Gefährt vor ihnen. Es sieht aus wie eine alte Strassenbahn, vor deren Frontseite Zugpferde gespannt sind. "Will noch jemand nach Mickten?!" ruft der Fahrer. Wilhelm entgegnet: "Nach Dresden fahren sie wohl nicht?" "Doch, die Richtung stimmt, der Herr," meint der Fahrer, "Jedoch hat unsere Lössnitzbahn ab Station Mickten eine andere Spurbreite. Sie brauchen dort aber nur in den breiteren Hänger umzusteigen und weiter gehts nach Elbflorenz. "Au fein!" freut sich Wilhelm. Er winkt die beiden anderen zuzusteigen und löhnt das nötige Kleingeld. Während der Fahrt hakt  Hannah nach: " Wohin gehts? nach Elbflorenz?" Wilhelm lacht: "So wird Dresden im Volksmund genannt, da es so schön ist , wie Florenz. Im übrigen nennt man Radebeul auch das sächsische Nizza!" Pit und Hannah staunen und schütteln den Kopf: "Die Sachsen und ihre Namen!" Beide grinsen. Pit erinnert sich an seinen Rotkopf. Am Dresdener Hauptbahnhof warten derweil zwei königlich-sächsische Büttel auf das Eintreffen des Zuges aus Leipzig....

"Du Erwin! Wie sehen nochmal die beiden aus, die wir verhaften sollen!" "Wart er, das hat uns Kollege Joseph Seidelbast von der Leipziger Polizeidirektion telegrafiert... Hmmm, ja richtig! Hier stehts: Beide klein, sie hat eine sonderbare karierte Mütze und er ist ein Blondschopf mit Pullover." "Aha.. na dann fahrt mal schön ein, ihr Früchtchen..!" frohlockt er.

Unterdessen fahren unsere drei mit offenem Mund ins Elbflorenz. Wow. Das ist also Dresden!
Neue Abenteuer warten auf sie! Und wieder fragen wir uns. Was werden sie wohl hier erleben. Oder haben sie hier einfach mal ein wenig Ruhe!? Vor allem müssen sie nun erst mal Wilhelm helfen. Denn er hat ja hier einen staatlichen Malauftrag.... wie es weitergeht, erfahren wir hoffentlich im nächsten Kapitel...

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