Da kommt die liebe Sonne
Am Himmel hoch daherspaziert.
"Ach Sonne, liebe Sonne,
Mach du, daß sich der Apfel rührt!"

 

Die Sonne spricht: "Warum nicht?"
Und wirft ihm Strahlen ins Gesicht,
Küßt ihn dazu so freundlich;
Der Apfel aber rührt sich nicht.

 

Nun schau! Da kommt ein Vogel
Und setzt sich auf den Baum hinauf.
"Ei, Vogel, du mußt singen,
Gewiß, gewiß, das weckt ihn auf!"

 

Der Vogel wetzt den Schnabel
Und singt ein Lied so wundernett.
Und singt aus voller Kehle;
Der Apfel rührt sich nicht im Bett.

 

Und wer kam nun gegangen?
Es war der Wind, den kenn ich schon,
Der küßt nicht und der singt nicht,
Der pfeift aus einem andern Ton.

 

Er stemmt in beide Seiten
Die Arme, bläst die Backen auf
Und bläst und bläst; und richtig,
Der Apfel wacht erschrocken auf.

 

Und springt vom Baum herunter
Grad in die Schürze von dem Kind;
Das hebt ihn auf und freut sich
Und ruft: "Ich danke schön, Herr Wind!"

 

 

Richard Dehmel (1863 -1920)
Die Schaukel

 

Auf meiner Schaukel in die Höh,
was kann es Schöneres geben!
So hoch, so weit: die ganze Chaussee
und alle Häuser schweben.

 

Weit über die Gärten hoch, juchhee,
ich lasse mich fliegen, fliegen;
und alles sieht man, Wald und See,
ganz anders stehn und liegen.

 

Hoch in die Höh! Wo ist mein Zeh?
Im Himmel! ich glaube, ich falle!
Das tut so tief, so süß dann weh,
und die Bäume verbeugen sich alle.

 

Und immer wieder in die Höh,
und der Himmel kommt immer näher;
und immer süßer tut es weh -
der Himmel wird immer höher

 

 

Christian Morgenstern (1871-1914)
Herr Löffel und Frau Gabel

 

Herr Löffel und Frau Gabel,
die stritten sich einmal.
Der Löffel sprach zur Gabel:
"Frau Gabel, halt den Schnabel,
du bist ja bloß aus Stahl!"

 

Frau Gabel sprach: "Herr Löffel,
Ihr seid ein großer Töffel
mit Eurem Gesicht aus Zinn,
und wenn ich Euch zerkratze
mit meiner Katzentatze,
so ist Eure Schönheit hin!"

 

Das Messer lag daneben
und lachte: Gut gegeben!
Der Löffel aber fand:
mit Herrn und Fraun aus Eisen
ist nicht gut Kirschen speisen,
und küsste Frau Gabel galant -
die Hand.

 

 

so habt nun eine schöne zeit, mit freier zeit, spiel und phantasie!

träumend, bis denne euer inlimbo